Die kleine Mohnblume






            Gartenlaube-Bilderbuch
                                        
Gartenlaube-Bilderbuch
um 1900 - mit vielen farbigen Jugendstilillustrationen
Der deutschen Jugend gewidmet.
Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig

Die einsame Mohnblume   
      
Wenn ich ein bißchen derber wäre, seufzte die kleine Mohnblume und zog sich das Röckchen, das noch ganz faltig war, weil es bis gestern in der Knospe gesteckt hatte, enger um ihre dünnen Glieder zusammen,
 „wenn ich derber wäre, könnte es mir hier schon gefallen! Aber der ewige Wind bringt mich um!“ „Unsinn“, lachten die dicken Roggenähren, „es ist gesund, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, nur dadurch wird man groß und stark!“ Und sie schwenkten sich, daß es eine Art hatte.








 Aber was sie sagten war kein Trost für die kleine Blume, denn groß und stark wollte sie gar nicht werden, und den Wind mochte sie nicht leiden, weil er das Necken nicht lassen konnte. So oft er im Felde spazieren ging, griff er nach ihrem Kleide, ihrem Schürzchen, daß sie vor Verlegenheit und Angst noch röter wurde, als sie von Natur schon war, und dann pfiff er ordentlich vor Vergnügen und rief: „Es steht ihnen so hübsch, wenn Sie rot werden, Sie sind wirklich eine sehr niedliche kleine Person“.
Und außerdem war der Wind schuld, daß sie so sehr verloren und verlassen am äußersten Ende des großen Feldes stand; er hatte im vorigen Herbst das Samenkorn, in dem sie schlief, mutwillig verschleppt, und nun lebte sie hier, von ihrer ganzen Familie getrennt, gerade wo der Fahrweg vorüberging und sie allen Blicken ausgesetzt war.
 „Einsamkeit ist das Vornehmste“, belehrte sie der Meilenstein, der schon mit einem Fuß im Grabe stand, so alt war er,
 „Einsamkeit ist das einzig Wahre!“



                                                                                                                                    Foto Jasmin



Aber die Mohnblume schüttelte traurig den Kopf, sie hatte durchaus kein Talent zur Einsamkeit. Sehnsüchtig sah sie nach der Stelle hinüber, wo die roten Kleider ihrer Verwanden leuchtend durch das Korn schauten, und dann weinte sie des Nachts, so leise und inbrünstig, wie eben nur Blumen weinen können. 
Sie hätte so gern jemand gehabt, mit dem sie nach Herzenslust hätte schwätzen können,
der Kopf tat ihr förmlich weh von all den Gedanken, die sie bei sich behalten mußte,
und wer weiß, was aus ihr geworden wäre,
 wenn sie nicht endlich eine Freundin gefunden hätte.



           liebe Gisela,  danke für das wunderschöne Geschenk, 
           das Kinderbuch  "Gartenlaube-Bilderbuch" 

           http://giselchenstrickt.blogspot.com/2011/09/hab-mich-heute-ganz-doll-gefreut.html









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