Wanderungen




Wanderungen durch Thüringen, Harz, Natur, Wald, Bäume, Friedrich Gottlob Wetzel Schluss Anfangs der Rückfahrt mehr nach innen als nach außen gekehrt, und mehr in Gedanken verkehrend mit der nächsten Vergangenheit und nächsten Zukunft,
als den sich darbietenden Gegenständen der Außenwelt und Gegenwart, 
saßen die Freunde Ottos im Wagen, und dieser störte ihren stillen Gedankenflug auf keine Weise; vielmehr senkte er sich selbst in Nachdenken über das wunderbare Walten einer Macht, die immer verborgen rätselhaft wirkend erscheint, nenne sie nun der Gläubige Vorsehung, Führung, der Ungläubige Zufall, Schicksal, Fatum, der naturphilosophische Denker Weltordnung.
Es mussten hundert und aber hundert Zufälligkeiten vorhergehen und zusammentreffen, dass zweimal zwei Menschenleben, verschiedenen Ländern entstammt, verschiedenen Zielen nachstrebend, sich liebend an einander ketteten; und doch war dabei nichts Ungewöhnliches, nichts Seltsames, und kann dergleichen sich schon hundertmal ereignet haben und dennoch entbehrte sie nicht eines romantischen Interesses,
 noch weniger des tiefsten, innigsten Gefühls.










Im Weiterfahren spann sich indes bald wieder freundliche Unterhaltung, 
trauliche Mitteilung an.
 Der Sommertag war hell und schön, das Tal bot manche anziehende Partie.









 Die Freunde machten noch einmal im Geiste die ganze Reise, gedachten scherzend kleiner unwesentlicher Unfälle und Hemmungen, wie ertragener Mühen, erfreuten sich aber dabei des reinen und ungetrübten Bildes von Thüringen, das fest in ihrer Erinnerung stand.
 Das Skizzenbuch ward prüfend durchblättert und Otto konnte sich nicht enthalten, gegen Wagner zu bemerken: ,,Du hättest doch noch mehr zeichnen sollen und Manches von andern Standpunkten aus, “worauf Jener sich lächelnd entschuldigte, sprechend:  ,,Mir muss nun das Gesammelte genügen; was ich nicht habe gewinnen können, komme auf Rechnung meiner Bequemlichkeit; doch glaube ich genug zu besitzen,
 um damit das Buch schmücken zu können,
 in welchem Du unsre Reise beschreibst, denn solches wirst Du schwerlich unterlassen können!“








Auch Lenz sprach ähnliche Meinung aus, und Otto erwiderte, den Scherz der Freunde von der ernsten Seite aufnehmend: „Wenn ich mir eine Reise, wie wir sie gemeinsam unternahmen, von meiner Hand geschildert denke, überfällt mich ein gewisses Zagen. Wie vieles Schöne hat nicht Thüringen noch neben dem Geschauten, Bereisten, dem ich euch nicht zuführen konnte?! Selbst der Wald — nach jeder Richtung hin Interessantes, Malerisches darbietend, konnte von uns nur fragmentarisch überblickt und gewürdigt werden, bedeutende Städte, ich nenne nur Langensalza, Mühlhausen, Nordhausen, blieben mit ihren Gebieten ganz
 außer dem Bereich unsrer Tour.
 Und dann — die Schilderung selbst — wie Vieles würde in einen engen Raum zusammen zu drängen, wie oft würde ich müssen darauf bedacht sein, mehr zu verschweigen, als zu sagen, und am Ende doch nicht dem Vorwurf allzu großer Redseligkeit entgehen? Dabei würde ich dennoch nach Vollendung des Ganzen die Empfindung haben, die sich aufdringt, wenn man in eines lieben Freundes Nähe war, von ihm schied, und nun fühlt, ihm dies und das, was man ihm sagen wollen, doch nicht gesagt zu haben, weil es viel Mehr und Andres zu plaudern gab.
 Endlich möchten die verschiedenartigsten Anforderungen des kritischen Teiles unsers Publikums zu bedenken, wenn auch nicht zu fürchten sein, wiewohl es wirklich einige Individualitäten darunter gibt, deren allzu jugendliche Phantasie ihren Verstand überredet, man müsse sonderlich auf ihre Weisheit achten, ihr Urteil fürchten und ihre eingebildete geistige Superiorität scheuen, während der Billige und Verständige ruhig ihrem nur leider oft zu gewaltsamen Ringen nach Autorität zusieht und ihnen 
von Herzen erwünschtes Emporkommen gönnt.“






„Hast Du Muße und Lust zu schreiben,“ nahm Lenz das Wert: ,,so kümmre Dich um nichts und um Niemand und schreibe. Schildre nach eigenem Ermessen, schmeichle nirgends und übertreibe nie. Jedes Buch ist gut, das aus innerlich empfundener Wahrheit hervorgeht. Die Anforderungen der Kritik sind stets so mannigfaltig, dass Alle zu befriedigen durchaus unmöglich ist. Einer liebt Charakteristiken, Persönlichkeiten; ein Zweiter möchte politische Zustände der Völker und Staaten geschildert, Mängel beleuchtet und aufgedeckt sehen; ein Dritter würde alles Historische hervorgehoben und mit gründlichster und tiefster Forschung vor Augen gelegt wünschen, während einem Vierten wünschenswert erscheinen dürfte, 
die poetischen Grundstoffe in Mähr und Sage weitläufig zu müßiger Unterhaltung versponnen zu finden.“
,,Dies Alles zu berücksichtigen ist schier unmöglich für einen Einzelnen, für ein Einzelwerk,“ fuhr Otto fort: ,,darum hat man sich hier und immer dem Publikum auf Gnade und Ungnade zu ergeben." Die Kritik, wenn sie acht und ehrlich, und es ihr nicht darum zu tun ist, eines Autors Charakter und Persönlichkeit anzutasten oder zu verleumden, wird ihren Scharfsinn überall an dem Vorhandenen üben, nicht an dem, was mangelt. Wir aber eilen heiter und wohlgemut, lebensfroh und harmlos unsern Heimatorten wieder zu, und singen da, 
wo wir ausgingen und die Wanderung begannen:


Wanderstab, Dankend legen wir dich ab!
Weil es muss geschieden sein. Raste nun und ruhe fein.
Glücklich sei, wer dich ergreift, mit dir in die Weite schweift,
Über Tal und Höhen streift! Wanderstab! 
Erst am Pilgerziel, am Grab,
legen wir dich ab.